REVIEW VON PETER E. RYTZ, 2018
Mit fließendem Übergang beginnt die oratorische Komposition MARIA von Müller-Wieland. In freien Assoziationen nach dem Matthäus-Evangelium und verschiedenen Anleihen aus der Literatur, des Films, der Musik, der Philosophie erzählt Müller-Wieland eine Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung, Macht und Erlösung. MARIA im Supermarkt an der Kasse - Johanna Wokalek spielt sie mit variabler Sprache und Gestik als eine von unheimlichen Mächten Getriebene zwischen Angst, Trauer, Hoffnungslosigkeit und Mut - will Feierabend machen. Ein Unbekannter hält sie auf und verkündigt ihr, dass sie schwanger sei.
Peter Simonischek leiht dieser geisterhaften Figur, dem Erzengel Gabriel, seine unverwechselbare, charaktervoll tönende Stimme. Die Erzählung bettet Müller-Wieland in klangmalerisch kommentierenden Dialoge zwischen dem Orchester, dem ausdrucksstark differenzierenden Balthasar-Neumann-Chor sowie solistisch den drei Königen sowie dem Bariton Andre Morsch als Herodes mit viel Gefühl für Sprache und Musikalität ein. Assoziationsreich spielt Maria ihre Heimsuchung : Gott ist tot. Alles totes Meer, Josef stirbt. Ihre Frage - Wozu Liebe, Josef ? - unterstreicht das Orchester mit apokalyptisch anmutender Donnerlautstärke. Gabriels Forderung - Du musst Dich fügen ! - will sie zunächst nicht akzeptieren. Der Chor echot, sie dunkel mahnend, das Orchester kommentiert mit melancholisch tragischem Melos und veranlasst Maria nachdenklich einzusehen : Wir sollen uns fügen. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Als das Kind unter Schmerzen geboren ist, glaubt sich Herodes erst noch stark in seiner Macht : In meinem Reich sind die Grenzen sicher. Will aber sicher sein, dass sich mit dem Kind nicht doch der angekündigte Erlöser in sein Reich eingeschmuggelt hat. Wo ist das Kind ? entflammt mit dämonischer Attitüde ein orchestrales Feuer. Trotz Gabriels Zuversicht - Es ist vollendet. Jeder wird erlöst - will Maria fliehen : Hier können wir nicht bleiben. Sie wiegt ihr Kind in den Armen, Du und ich: Schlaf Kindlein, schlaf. Hengelbrock dirigiert zunehmend mit sichtbarer Freude über die Geschmeidigkeit des Orchesters zwischen Tutti und Soli. Die Harfe eröffnet ein temperiertes Finale, in dem sie Gabriels Aufforderung an Maria, sich durch das Meer schwimmend zu retten - Maria ! Schwimm ! - eindringlich markiert. Ihre Resignation - Ich kann nicht schwimmen - wischt er lautstark weg : Doch ! Während Orchester und Chor zwischen Piano und Forte changieren, ruft Maria, von Selbstzweifel befreit und erlöst, begeistert aus : Ich schwimm ! Wer - wen - wann - wie mit Blick auf die weltweiten Flüchtlingsbewegungen erlösen wird, darauf gibt Maria von Müller-Wieland keine Antwort. Sein Oratorium ist vielmehr eine Mahnung an uns, sich der Realität nicht zu verschließen.
Peter E. Rytz, 26. September 2018