REVIEW ZUR URAUFFÜHRUNG DES BÜHNENWERKS, 2010
Bonn. Noch, bevor das erste Wort gelesen, der erste Ton gespielt ist, spürt das Publikum, dass diese beiden nicht nur beim Beethovenfest ein gutes Team sein könnten.
Jan Müller-Wieland und Roger Willemsen üben sich schon in witziger Interaktion, als sie die Bühne der Kammerspiele betreten, lassen einander den Vortritt und streiten sich gleich darauf um das einzige Glas Wasser. Dabei arbeiten Dirigent und Autor an diesem Abend an einem vorwiegend melancholischen Gegenstand: "Der Knacks", Willemsens Buch über biografische, emotionale und politische Ermüdungsbrüche, wird als Melodram uraufgeführt - vom Ensemble Resonanz, das sich mit experimentellen Tönen bestens auskennt.
Die Musik des vielfach ausgezeichneten Komponisten Müller-Wieland spiegelt den episodischen und fragmentarischen Charakter des Librettos. Ein Flügel und 18 Streicher bewegen sich in Steigerungen und Spiralen von gehauchten Tremoli zu brutalen Clustern und schmerzhaften Reibungen, sie zitieren Bekanntes und probieren Neues aus, sie husten und flüstern. Wie das Leben ist auch die rhapsodische Partitur von Rhythmuswechseln, Leerstellen und Aufregungen geprägt, und wenn Müller-Wieland den Knacks so richtig hörbar machen will, lässt er seine Musiker auch schon mal mit den Füßen scharren, Triangel spielen und diese dann auf sein Kommando laut klirrend auf den Boden werfen.
Dazwischen liest und lebt Roger Willemsen Passagen aus seinem Buch, erzählt mit ungeheurer Beobachtungsgabe und sprachlicher Präzision über Alterungsprozesse und das Phänomen des Ausbleichens, wenn die Überzeugungen nicht mehr stark und die Genüsse nicht mehr strahlend sind.
Und ganz gleich, ob Glaube reflektiert wird, oder Goya, oder Guantanamo - die Balance zwischen Wort und Ton ist stets vollkommen. Zum Tacet des Ensembles gibt es bisweilen einen längeren Text, an anderer Stelle entspinnt sich ein lebhafter Dialog zwischen Sprecher und Orchester. Humoristischer Höhepunkt der anderthalb Stunden ist zweifelsohne die Skizze über die Einsamkeit in einem Restaurant, in dem zwei Frauen mit größter Kunstfertigkeit aneinander vorbeireden: absurdes Theater, zart ironisch untermalt von den wiederkehrenden Formeln des Ravelschen Boleros.
Immer wieder spielen sich Willemsen und Müller-Wieland auf dem schmalen Grat zwischen Lachen und Weinen den Ball zu, erforschen Hand in Hand die Risse, die sich in den Träumen auftun. Und dann "eröffnet sich eine Aussicht, den Menschen in seinem Knacks zu retten, ihn im Gehen wachsen zu sehen".
Bad Godesberg
Bonner General Anzeiger, 1. Oktober 2010
Von Gunild Lohmann